Morgen ist ja schon wieder Montag, oder?

Warum ich Montage in Leipzig irgendwie scheiße finde, habe ich ja schon hier geschrieben. Heute poste ich euch meinen Slam-Text „Angst“, den ich auch zur besagten Leipziger Rede vorgetragen habe. Seitdem ich den Text im Februar geschrieben habe, hat sich einiges geändert. Ich bin nicht mehr in Hannover, aber Legida und die Angst gibt es ja immer noch. Von daher.
 
Angst

Ich sitze am Fenster mit Blick auf die Limmerstraße. Der türkische Supermarkt hat für heute zugemacht. Neben der Sparkasse ist ein Bekleidungsshop, dann kommen Kioske. In Leipzig nennt man das anders, Spätis zum Beispiel. Aber in Leipzig ist es sowieso ein bisschen anders. Ich liebe die Stadt, aber nicht was dort mittlerweile wöchentlich zu sehen ist. Legida nennt sich das Phänomen und die Bewegung zeigt sich offen rassistisch.
Die Hälfte meines Monats verbringe ich in Leipzig, die andere in Hannover. Statt in unterschiedlichen Bundesländern, fühle ich mich wie in zwei Welten. Während mir in Leipzig ständig neue hässliche Seiten der besorgten Bürger und Bürgerinnen gezeigt werden, sperre ich in Hannover alles aus. Das ist nicht der dauerhafte Umgang und auch hier gibt es Nazis, aber in Hannover spüre ich nicht dieses enge Gefühl in der Brust. Denn während ich die Limmer runterlaufe und sich die junge Familie beim türkischen Bäcker Baklava kauft und der Herr im Anzug sich etwas bei Viet Street Kitchen über die vietnamesische Küche erklären lässt, kommt niemand auf die Idee zu bemerken, dass ich ja irgendwie Angst haben müsste, da ich ja anders bin.

Eigentlich fühle ich mich nicht anders, es ist eher so, dass ich anders gemacht werde.
Freude, Staunen, Begeisterung sind Reaktionen auf Sätze, die aus meinem Mund kommen, weil sie so schön klar klingen. Weil mein Deutsch so gut sei. Diese Leute gestehen es mir nicht zu, dass ich ganz normal sprechen kann, weil ich ja so anders aussehe.
Aus Thüringen, aus Leipzig, aus der Innenstadt sind Antworten, mit denen man sich nicht zufrieden zeigt, da man wissen wolle wo ich WIRKLICH herkomme. Ein Nest an der Werra könnte doch nicht meine Herkunft beschreiben, weil ich ja so anders aussehe.
Hitze, Verkehrschaos und Reis, sind Dinge, die ich doch mögen müsste, weil sie mir so nahe stehen, einfach weil ich ja so anders aussehe.

Da ist man 18 Jahre lang in einer thüringischen Kleinstadt aufgewachsen und war meist nur Nhi Le. Nicht „die kleine Asiatin“ oder „die kleine Vietnamesin“ oder „die Kleine mit den Schlitzaugen“. Menschen tun so, als sei ich eine Fassade, angekettet an den Migrationshintergrund.

Aber eigentlich wäre das ja alles egal. Man könnte immer noch sagen, dass je mehr Menschen in einer Stadt leben, desto mehr auch blöde Fragen und Kommentare von sich geben können und ich liebe mein Leipzig doch, aber ich gehe auch gerne fremd mit Hannover.

12. Januar
Die Freundin der Freundin sagt, dass diese Antifas ja nur auf Krawalle aus seien. Ich drehe mich um. Wir laufen die Jahnallee entlang und ich habe das Gefühl, dass das nicht das letzte Mal Gegendemo sein wird. Zuerst steht nur ein kleiner Haufen mit Deutschlandfahnen am Waldplatz einer brüllt uns „Geht zurück nach Istanbul“ zu. Das ist also ein Leipziger, der hier gegen die Islamisierung des Abendlandes protestiert. Und alles daran ist falsch. Dieses Abendland ist so ein blödsinniger Begriff, so blödsinnig, dass es perfekt zu der Bewegung und all seinen Widersprüchen passt. In Leipzig fordert man respektvollen Umgang mit Kultur und Sprache und schafft es kaum, einen rechtschreibfehler-freien Facebookpost zu verfassen. Man stellt ein Thesenblatt zusammen, das vor rechtspopulistischen und verschwörungstheoretischen Forderungen nur so wimmelt und letztlich könnte man auch das NPD Wahlprogramm abgedruckt haben. Das würde dann auch erklären, warum so viele NPD Mitglieder dort drüben auf der Straße stehen. Gut 5000 besorgte Bürger und 30000 dagegen. Man feiert sich. Aber wir sehen heute keinen wirklichen Erfolg, denn laufen konnte Legida trotzdem. Ich bin müde, aber ich habe keine Angst.

21. Januar
Anderer Wochentag, andere Route. Es herrscht Ausnahmezustand in der Innenstadt, die Uni ist voller Polizisten, der Hubschrauber macht mich wahnsinnig. Vor uns die Polizei und vor der Polizei Legida. Sie winken und jubeln und wir können wieder mal nichts tun.
Mein Kumpel müsste zurück nach Hause, zurück nach Delitzsch. Ich halte ihn fest. „Am Bahnhof hat es geknallt“ flüstere ich und sage, dass er bei mir schlafen soll. Wir sitzen vor der Heizung und hängen vor Twitter. Unter dem No Legida Hashtag wird die Timeline geflutet. In unmittelbarer Nähe werden Journalisten verprügelt, die Polizei sieht zu. Ich bin sauer und ich habe ein bisschen Angst.

30. Januar
Auf der Facebookseite steht, dass man vor und nach der Demo nicht alleine durch die Straßen gehen sollte. Ich habe sehr viel Angst. Wir stehen am Schwanenteich.
Im schwarz rot goldenen Getümmel sind auch Russlandfahnen zu sehen. Und schon wieder ein Widerspruch. Die Leute, die sich eine neutrale Haltung zu Russland und einen starken Politiker wie Putin wünschen, sind sicher auch die Leute, die über die russischen Menschen im Neubaugebiet schimpfen. Man fordert ein friedliches Europa, doch verflucht alle Flüchtlinge, selbst wenn sie aus einem europäischen Staat kommen. Denn letztlich sind Ausländer nur dann okay, wenn sie Pizza oder Baguettes verkaufen, aber der Rest überschwemmt doch nur das Land.
Montag, Mittwoch und heute Freitag. „Pervers, dass man die Demo extra auf den  Jahrestag der Machtergreifung gelegt hat“ bemerkt eine Freundin und reißt mich aus meinen Gedanken. Außerdem wurden Legida-Demos für jeden Freitag bis zum Ende des Jahres angekündigt. Ich drehe durch. Freitags kann ich nicht, da fahre ich doch immer nach Hannover. Ich bin richtig sauer und die Angst ist egal.

16. Februar
Das vierte Mal, keine Lust mehr, kein Elan mehr. Jeden Tag liest man etwas neues, das frustriert. Es gibt Leute, die immer noch nicht akzeptieren wollen, dass die Demonstranten da drüben auf dem Augustusplatz Nazis sind. Und diese Demonstranten sind nicht in einem Bus-Shuttle gekommen, sondern wohnen hier. Leipzig – das sind deine Hools, ja Leipzig – das sind deine Nazis. Ich bin sauer, ich habe Angst und ich muss erstmal weg.

In den letzten Tagen gab es zu viel Furcht davor, alleine irgendwo hinzugehen und zu oft rollte ich mit meinen Augen weil ein „Wo kommst du WIRKLICH her?“ nicht nur eine nette Smalltalk-Floskel ist.

Und im Hannoveraner Linden tauche ich einfach ab. Tue so, als gäbe es die Probleme in Leipzig nicht, weil auch eine Stadt recht leicht ersatzbar scheint. Und Freitag und Samstag wird ein langes Wochenende und daraus noch ein paar Urlaubstage mehr. 7 Tage ohne Angst.

2 Comments

  • Anonym sagt:

    Das ist wirklich ein toller Text von dir! 🙂 Vieles sprichst du mir aus der Seele. Ich bin ebenfalls eine asiatischstämmige Deutsche und kenne das allzu gut, wenn Leute gerne die Unterschiede bewusst oder auch unbewusst hervorheben und wenn man mich auf mein "Asiatischsein" reduziert, z.B. mit dem Nicknamen "die kleine Asiatin".

  • […] der Straße und im Alltag ausgesetzt zu sein. Außerdem schreibt Nhi auch über den alltäglichen Rassismus, dem sie ausgesetzt ist. Sie schreibt über ihre Angst und viele ihrer Schilderungen erinnern mich […]

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