Ein Abend gestaltet von Rassismus-Betroffenen in Leipzig.

Über den Anlass der Leipziger Rede habe ich bereits hier einen Blogbeitrag verfasst.
Heute könnt ihr den ganzen Abend nachhören. Als Speakerinnen waren Trang Dang, David Hagenbäumer und Han Le dabei. Trang konnte leider nicht anwesend sein, weshalb sie ein Video gedreht hat. Auf der Aufnahme wird es etwas leiser sein. David hat und Han haben ihr Geschichte erzählt ich habe moderiert und auch eine kleinere Rede gelesen.

Ein bemerkenswerter Moment für mich: Sowohl Han als auch David haben davon erzählt, wie sie als Fidschis bezeichnet werden. Im Publikum saß auch Yuko, sie ist erst seit kurzem hier und kennt das Wort nicht, sodass sie nach der Bedeutung fragte. Ich konnte nur mit „racial slur“ antworten, da das Wort nun mal so verwendet wird.

So viel Verzweiflung

Während der Vorbereitung habe ich mich durch die aktuellsten Fälle rechter Gewalt in und um Leipzig gelesen. Nur ein zusätzlicher Faktor, der irgendwie verzweifeln lässt. Das Rassismus-Problem in Leipzig und Deutschland allgemein hat so viele Ausprägungen. Wenn ich die aktuelle Woche betrachte, dann sind das rassistische Reden von Oettinger, Überfälle in Heidenau, erneute Morddrohungen gegen Katharina und Lothar König, die für ihre antifaschistische Arbeit bekannt sind, Rechtsurteile, die rassistische Gewalt relativieren oder verharmlosen, die CSU mit ihrem rechten/rechtskonservativen Grundsatzprogramm „die Ordnung“ und bei all dem wird von einem „Linksruck“ in Deutschland gesprochen. Aha.

So viel Wut

Das alles lässt nicht nur verzweifeln, sondern macht auch wütend. Es ist ein Wechselspiel -rein objektiv betrachtet, aber nicht zuletzt auch, weil ich von Rassismus direkt betroffen bin. Darüber habe ich in meiner Rede gesprochen und mittendrin sind mir vor Wut einfach die Tränen gekommen und ich musste mich zurückhalten, nicht einfach rumzuschreien. Das war unangenehm, so mitten in einer Rede im Rathaus. Natürlich hab ich mir sofort gewünscht, dass das nicht passiert wäre. Andererseits kamen so viele Faktoren zusammen: oben genanntes, der Anlass der Rede selbst, der Umstand, dass scheinbar nicht verstanden wird, wie extrem wichtig mir dieser Abend war und immer wieder Zweifel an der Legitimation, immer wieder ein „Übertreib nicht“.

Es ist mir immer noch unangenehm, dass ich vor Wut geweint habe, aber spiegelt eben meine Empfindung. Han meinte dann, dass wir alle ohne diese Wut nicht bei der Veranstaltung wären bzw. so etwas sonst gar nicht organisiert werden würde. Über den Abend habe ich immer wieder ähnliche Stimmen gehört.

Ich wollte die Rede vor irgendeiner Art von Scham sogar gar nicht erst veröffentlichen und nur die Beiträge der anderen uploaden. Verletzbarkeit noch öffentlicher machen – niemals. Letztlich finde ich aber, dass die Rede doch in ihrer Gesamtheit gehört werden sollte. Ich bin erschöpft, aber im Endeffekt treibt Wut auch an. Was von dem Abend bleibt ist außerdem nicht nur der Frust, sondern auch die Kraft, die wir uns gegenseitig gegeben hat.

Meine Rede

Ich weiß nicht wo ich anfangen soll.

Grob soll es hier darum gehen, über meine Rassismus-Erfahrungen in Leipzig zu reden und vor drei Jahren hätte ich wohl einfach meine Erlebnisse aufgezählt und gesagt, wie es mir dabei erging.
Mittlerweile ist Rassismus nichts mehr, das ich in einer Liste abarbeiten kann, schon gar nicht, wenn mir wie beim heutigen Abend eine Bühne geboten wird, um über ein Thema zu reden, das ich so oft gerne abstreifen wollen würde, aber wie ein Schatten an mir hängt. Schatten wird man nicht los und so wird es sich auch mit Rassismus in meinem Leben verhalten. Als ich 2013 nach Leipzig gezogen bin, war ich ziemlich nichtsahnend, ziemlich ignorant. Rassismus ist mir schon häufig begegnet, aber ich wollte die Systematik wohl nie so wahrhaben.

Irgendwann häuften sich hier in Leipzig aber die kleinen Vorfälle. „Sie sprechen aber gut Deutsch“, „Aus Thüringen? Nein, wo kommst du WIRKLICH her?“.
Auf öffentlichen Veranstaltungen, in der Uni, in der Stadt, random mit Englisch angesprochen werden, weil ich ja gar nicht Deutsch sein könne, so wie ich aussehe.
Es sind die kleinen Momente, die in Leipzig immer wieder kehren und mir so bitterlich zeigen, dass ich irgendwie nicht dazu gehören könne, weil ich den Kartoffeln nicht weiß genug bin.

Momente wie dieser, als ich mit Blasenentzündung zum Urologen komme und die Schwester mir in feinstem Sächsisch vorwirft, warum ich eine Stunde vor Schließung der Praxis kommen würde und ob alle bis übermorgen arbeiten sollen. Die weiße Frau mit Blasenentzündung 10 Minuten vor Sprechstundenschluss aber wurde sehr freundlich mit einem „Sowas muss man sich gleich ansehen!“ aufgenommen.
Momente wie damals, als ich im Journalistik-Seminar hier an der Uni Leipzig saß. Wir sollten Texte korrigieren und ich meldete mich, um zu sagen was an der Wortgruppe „den Lagen von Sachsen“ falsch war. Die Dozentin sagte, „ach schön, die Ausländerin meldet sich“. Ich war total verdattert und konnte nicht schlagfertig antworten. Nur ein „so ausländisch bin ich nicht“ bekam ich heraus. „Deutsch ist ihre Muttersprache?“ entgegnete sie mir verdutzt und der Tag war gelaufen. In einem späteren Gespräch sah sie es gar nicht ein, rassistisch gewesen zu sein, entschuldigte sich und verlief dann wieder in Stereotypen. An den Lagen von Sachsen ist übrigens so viel falsch.

So wie Frau F. reagierte, tun es viele. Rassistisches Verhalten wird angesprochen und statt das eigene Verhalten zu überdenken oder gar an die Konsequenzen für die Betroffenen zu denken, wird es als Angriff gesehen. Um so etwas zu erleben, muss man nicht erst an besorgte Bürger geraten. Auch vermeintlich Linke werfen dir gerne vor, alles ein bisschen „zu eng“ zu sehen oder dass man sich mal lockermachen solle. Man ist ja gegen Nazis und blabla, aber da hört es auch schon auf.
Rasssismus in Deutschland, Rassismus in Leipzig. Ich kann nicht ohne emotional zu werden über dieses Thema reden, denn es betrifft mich – und ich habe so unendlich viel Wut und Verzweiflung in mir.
Wut über die Menschen, die Rassismus bewusst reproduzieren, Wut über die Menschen, die Rassismus bewusst ignorieren. Wut, über die Menschen, die meinen, ich solle mal ein bisschen Abstand davon nehmen. Dann rollt man mit den Augen. Boah, schon wieder spricht die Rassismus an.
Sie scheinen zu ignorieren, dass ich und all die anderen Rassismus-Betroffenen nicht Abstand nehmen können, wenn sie von einem Problem betroffen sind, immer wieder damit konfrontiert werden. Ich kann nicht einfach einen Artikel über rassistische Übergriffe lesen, das Tab zumachen und mich dann mit etwas anderem beschäftigen.
Nein, ich mache das Tab zu und denke daran, wie auch ich hätte in dieser Situation angegriffen werden können. Ich will von einigen Geschehnissen in Leipzig erzählen, denn würde ich Ausschreitungen aus ganz Sachsen aufzählen, wären wir die ganze Woche hier.

Am 11. Januar 2016 versammeln sich über 200 Nazi-Hools in Connewitz, einem Stadtteil der bekannt für seine links-alternativen Projekte ist und zerstören fast die ganze Wolfgang-Heinze-Straße. Die Angriffe finden parallel zur Legida-Demo statt.
Am 4. Juli 2016 nehmen Mitglieder der „Identitären Bewegung“ bei Legida teil, sie verteilen ihre Werbung im Einkaufscenter Höfe am Brühl.
Am 19. September attackiert ein 27-Jähriger in Möckern einen Mann. Erst zeigt er den Hitlergruß, dann würgt er ihn bis er blau anläuft.
Am 26. Oktober attackieren Nazis einen indischen Mann im „Saxonia-Express“ von Dresden nach Leipzig. Sie schlagen ihm ins Gesicht, nötigen ihn, den Hitlergruß zu machen.

Als ich davon gelesen habe, fühlte ich sofort einen Druck in meiner Brust, Herzrasen, Atemprobleme, Übelkeit.  Es gibt Tage, da kläre ich derartige Vorfälle mit einem „deutschen Zustände“ ab und fühle mich abgestumpft, aber meistens koche ich doch über.
Dann fühle ich mich verzweifelt, weil ich in den Momenten nicht daran glaube, dass irgendetwas besser wird. Weil in dem Moment die ganze Welt aus LVZ-Kommentatoren zu bestehen scheint, die bei einem Artikel über ertrunkene Geflüchtete den „Haha“-Button drücken, aber bei einem toten Hund die Unmenschlichkeit der Welt anprangern.
Teil des Problems sind die, die Rassismus reproduzieren, doch ich bin nicht nur wegen ihnen frustriert, sondern wegen all denen, die den Rassismus abtun, legitimieren oder relativieren. Das sind Privatpersonen, ganze Gruppen, aber auch Politiker*innen. Menschen, die in der Position sind, ein präsentes Problem in ihrem Bundesland beim Schopfe zu packen, statt linke Arbeit zu kriminalisieren.

Ich nehme die heutige Leipziger Rede als Anlass, um all diese Wut rauszulassen, aber auch um festzuhalten, dass ich froh um diese Veranstaltung bin. Ich bin froh, dass Sie gekommen sind, um sich das anzuhören und ein Stück Realität mitzunehmen, die wahrscheinlich nie ihre eigene sein wird. Ich bin aber vor allem froh, dass Betroffene ihre Perspektiven sichtbar machen können.

13 Comments

  • David sagt:

    Ohne deine Wut wären wir alle nicht dort gewesen. Das hatte Han gesagt und damit hat sie absolut recht. Keine falsche Bescheidenheit!

  • Trang sagt:

    Tolle Rede. (Und das sage ich mit tiefstem Respekt, weil ich gerade nicht mehr Worte parat habe, wie sehr sie mich bewegt.)

    • Nhi Le sagt:

      Hallo Trang!

      Danke für deine lieben Worte und den Respekt! Hast du eigentlich Twitter oder ein anderes Medium, wo ich dir noch folgen könnte?

      Viele Grüße!

  • […] Gesprochen: Im Rathaus stand die Leipziger Rede an, ihr könnt den Anlass hier nachlesen und die Reden hier nachhören. […]

  • Tuan sagt:

    Hey Nhi,

    tangieren dich die Formen des Alltagsrassismus, welche du in deinem Beitrag beschreibst, wirklich so sehr? Relativieren ist mitunter sehr zweckmäßig, es schafft eine kritische Distanz und vermindert selbstreferenzielle Empörtheit. Emotionale Erregung löst nämlich eher selten Probleme, sie verstellt gar oftmals den Blick für Wesentlicheres.

    Negativ gedeutet, nähert man sich den Xenophoben gar an, aus ihnen spricht ja auch primär Wut und Unverständnis, oder etwa nicht?

    • Nhi Le sagt:

      Hey Tuan!

      Ich gehe tatsächlich mit meinen Rassismus-Erfahrungen so um, wie ich es für richtig halte.
      „Emotionale Erregung löst nämlich eher selten Probleme“ ist ja ein netter Satz, aber geht davon aus, dass ich nur emotional bin. Gehst du davon aus, dass Emotionalität mich bei meiner antirassistischen Arbeit leitet oder war das nur auf die Rede bezogen? Lies vielleicht auch nochmal die Rede nach, da ist ganz gut nachvollziehbar, wie diese Wut zustande kommt.

      Du sprichst Problemlösung an, ich bin auf deine Lösungsvorschläge gespannt! Der Blick für Wesentlicheres werde verstellt. Was ist denn für dich wesentlich?

      Und dein letzter Satz: Aus Xenophoben spricht primär Wut und Unverständnis und man nähert sich ihnen vielleicht an. Soll man bspw. Nazi-Attacken mit einer Lichterkette und Verständnis begegnen? Rassismus, egal ob strukturell, alltäglich oder zusammenhängend, macht nun mal Wütend. Wenn du Verständnis dafür hast, dann ist das dein Umgang. Meiner sicher nicht.

      • Tuan sagt:

        Nicht unbedingt wesentlich, aber interessant ist noch wie es sich mit deiner ‚Muttersprache‘ verhält. Viele meiner Bekannten und Freunde (mich eingeschlossen) mit Migrationshintergrund erleben auf Reisen im Land ihrer Eltern, die andere Seite.

        Wenn sie nämlich implizit oder/und explizit erfahren, dass deren Deutschkenntnisse hervorragend sein mögen, aber die Landessprache eher unzureichend beherrscht wird.
        Eröffnet jedenfalls einen Blick auf die andere Seite.

      • Tuan sagt:

        Eine Lösungsvariante liegt darin dem Gegenüber (und seine eigene) seine Position überprüfen zu lassen, für die Thematik zu sensibilisieren und bestenfalls zum Nachdenken bzw. Reflektieren anzuregen – wie so oft im Leben hilft Bildung bzw. liegt im Unwissen die Ursache.

        Nicht zuletzt helfen Humor (z.B. Dass der andere für einen Sachsen gutes Hochdeutsch kann) aber auch eine Erläuterung der historischen Hintergründe von Migration in der BRD/DDR von Gastarbeitern kann Wunder wirken.
        >Zusammenhänge aufzeigen<

      • Tuan sagt:

        Ich bin kein Freund von Lichterketten und doch sind sie ein nicht zu unterschätzendes
        Zeichen einer aktiven Zivilgesellschaft. Ein Blick in die nähere Geschichte zu den Montagsmärschen in der Messestadt oder Sit-ins in Amerika zeigt, dass friedlicher Protest Systeme ins Wanken bringen, Kriege beenden und Diskurse entfachen vermag.

        Wut mag ein erstaunlicher Motor sein, aber einer Naziattacke würde ich mit den Mitteln und Wegen des Rechtstaates begegnen. Da kann man auch eine klare Linie zwischen Toleranz und Verständnis ziehen. Auch darüber bloggen ist natürlich eine zeitgemäße Form der Begegnung.

        • Nhi Le sagt:

          Ich veröffentliche die Kommentare, da du dir die Zeit genommen hast, hier deine Meinung darzulegen und sie zum Thread gehören.
          Selbst klinke ich mich aus der Diskussion aus, da ich schon im ersten Kommentar meine Positionen dargelegt habe.

  • Tuan sagt:

    Die ‚emotionale Erregung‘ ist auf diesen Blogeintrag bezogen. Da mir deine antirassistische Arbeit im Ganzen nicht bekannt ist, wäre es an der Stelle töricht eine abschließende Meinung dazu zu bilden. Gut zu wissen wäre noch, worauf deine Arbeit sich aufbaut, welches Ziel du mit welchen Werkzeugen und Techniken verfolgst.

    Deine hier beschriebenen Erfahrungen sind mit Sicherheit keine Ausnahmen und in der Sache mitunter verletzend für die Betroffenen. Doch eine gewisse Nachvollziehbarkeit ist ebenso gegeben, nämlich dann wenn man sich in die Lage des Gegenüber hineinversetzt.

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