Ira Atari haben mit ihrem 2016 erschienen Album „Moment“ einen meiner absoluten Jahresfavoriten geliefert. Ich traf die beiden zum Interview, um über die Songs, Routinen und Iras zehnjährige Erfahrungen in der Musikbranche zu reden.

Heute startet eure „This is the moment“ Tour in Leipzig. Gibt es Momente, die ihr mit der Stadt verbindet?

B: Ich glaube, dass wir da so einige haben.

I: Ja, wir haben schon öfter in Leipzig gespielt. Da war das Frauenfestival, das Campusfest, die Moritzbastei und das Absturz, dort habe ich schon 2011 die Releaseshow meines ersten Albums „Shift“ gespielt. Die Leute in Leipzig sind immer sehr toll.

Ich würde gerne ein bisschen auf das neue Album und vor allem die Texte eingehen.
„Thinking of you“ ist der Opener des Albums. Beim ersten Hören könnte man meinen, dass es um Liebe geht. Ich verstehe den Song sogar fast als Nachfolger von „Boom boom“. Geht das in die richtige Richtung?

I: Du liegst da gar nicht falsch. Bei „Boom Boom“ geht es ja eindeutig um die Liebe und „Thinking of you“ ist aus der gleichen Phase. Wir haben uns kennengelernt und dann bestimmt erstmal zwei Monate lang nicht gesehen. Ich war damals noch alleine auf Konzerten unterwegs und bin mit dem Zug gefahren. Das ist die Situation von der ich singe, außerdem wurde es Herbst. Das wird ja auch angesprochen. – Wobei es war gar nicht Herbst…

B: (lacht) Lügst du uns an?

I: Nee! Es war Winter, aber den Song habe ich dann letztes Jahr im Herbst geschrieben.

„Monday“ ist ein Song der mühselige Routinen und das „funktionieren müssen“ hinterfragt. „You got to fall, you got to stand up, you got to make a change.“ Was motiviert euch, wieder aufzustehen?

I: Die Motivation war für mich immer die Musik. Ich wusste mit 14 Jahren, dass Musik neben der Liebe das Schönste der Welt ist und warum hätte ich mich nach dieser Erkenntnis mit etwas anderem beschäftigen sollen? Deshalb hab ich Musik studiert. Einen normalen Job von 9to5 hätte ich niemals machen können. Dabei wäre ich wahrscheinlich krank geworden. Jetzt gebe ich 3 Tage in der Woche Klavierunterricht, ab und zu am Wochenende Konzerte und zwischendurch bleibt genug Zeit zum Musik machen und Songs schreiben.

B: Ich hab es mit Arbeiten und damit Geld verdienen probiert und wenn man merkt, dass es nicht funktioniert, dann muss man eben Alternativen suchen. Probieren was man will und ich hab bei mir gemerkt, dass ich in einem 9 to 5-Job, gar nicht mehr an andere Sachen denken kann. Man macht nur das, was verlangt wird, aber man ist nicht mehr kreativ. Man vernachlässigt die Dinge, die man machen will, weil man einfach keine Zeit mehr hat.

Das spiegelt sich ja auch in der Zeile „Time to put your passion aside“ aus dem gleichen Song.

I: Ich konnte mich da an die Schulzeit erinnern. An den Wochenenden war ich immer in meiner Welt, hab Songs geschrieben, Klavier gespielt und Montags hieß es wieder um 6 Uhr aufstehen…

Ira: Es gehört für mich dazu, bis zu 3 Tage vor einem leeren Papier zu sitzen, bevor mir etwas einfällt.

Dann ging das so schon in der Schulzeit!

I: Ja, ich wusste schon sehr früh, dass der „normale“ Weg nichts für mich ist. Tatsächlich war es nur in der Schule so, dass ich die fünf Tage Woche durchgezogen habe. Im Studium ging es dann schon. Da hatten wir Freitags frei und extrem früh aufstehen mussten wir auch nicht. Auf jeden Fall war es schon immer wichtig für mich, viel Zeit zum Klavier üben und Songs schreiben zu haben. Das hat nichts mit Faulheit zu tun. Es gehört für mich dazu, bis zu 3 Tage vor einem leeren Papier zu sitzen, bevor mir etwas einfällt.

In „Memories“ singst du „My memories won’t disappear, no matter how hard I try.“ “Sadness settled down without warning” heißt es in Sad Girl. Wärt ihr manchmal froh, bestimmte negative Gefühle einfach wegsperren oder abschalten zu können oder liegt darin vielleicht ein Antreiber oder Katalysator?

I: Sagen wir’s mal so: Da gibt es schon eine sehr dunkle Seite in mir mit viel Nachdenklichkeit und Düsterheit, aber meistens ist das am nächsten Tag wieder weg. „Memories“ – man kann sich einfach nicht wehren und es bleiben eben auch die negativen Erinnerungen. Aber Wegsperren möchte ich sie nicht. Die gehören ja zu mir. Sie dürfen bleiben.

Man könnte ja meinen, dass man sich auch mal in negativen Gefühlen verlaufen kann und dann nicht mehr rauskommt, aber wenn man das Album hört, geht es ja auch immer wieder hoch.

I: Ohja! Ich bin so ein Typ, der stundenweise mal oben und mal unten ist. Das ist einfach eine Eigenschaft. Du kennst das gut, stimmt’s? (zu Bernhard).

B: Ist ja ganz gut, dass nicht immer alles geradeaus geht.

Zu „Crocodiles“ sagt ihr, dass es darum geht, nicht immer den bequemsten Weg zu gehen und stattdessen selbstbestimmt zu bleiben. „Don’t worry about me“ heißt es im Song direkt. Für mich schwingt da viel „durchbeißen“ mit. Könnt ihr von Situationen erzählen, wo ihr gemerkt habt, dass es sich lohnt, den steinigen Weg zu gehen.

B: Manche brauchen es wohl, einfach den leichten Weg zu gehen, weil alles andere viel zu kompliziert scheint. Dann wird man auch gefragt, wie man sich fürs Gegenteil entscheiden kann. Ich stell mir aber genau die umgekehrte Frage und es hängt immer von der Persönlichkeit ab. Wo will man hin und was nimmt man dafür in Kauf?

I: Dieser Text ist ein sehr persönlicher Text. Ich bin im Leben immer lieber zu den Krokodilen geschwommen als zu den Delfinen und dadurch war mein Weg auch immer etwas steiniger. Ich hab mir etwas in den Kopf gesetzt und hab das einfach gemacht. Manchmal war es dann doch nicht so einfach wie ich mir das vorgestellt hatte, aber egal. Naja, ich denke die Hauptsache ist, dass man nicht immer nur den bequemen und angepassten Weg geht, sondern selbstbestimmt ist und versucht es zu bleiben und auch mal aneckt um herauszufinden was man wirklich will. Alles andere entfremdet dich von dir selbst und du wirst früher oder später zu einem Roboter oder Zombie, irgendwie leblos.

Bei euren Texten gibt es immer eine Menge Interpretationsspielraum, sie sind vielschichtig. Die Texte sind auf Englisch. Gab es schon mal eine Situation, in der du dachtest mit der deutschen Sprache hättest du dich doch präziser oder einfach anders ausdrücken können?

I: Ja, da hast du recht. Ich mag englische Texte sehr gerne aber vielleicht ist auch irgendwann die Zeit vorbei. Ich lass mich überraschen.

Bernhard: Kommen beide aus einem ganz anderen Bereich, kann das schon kompliziert werden. Wir haben aber diesen gemeinsamen Nenner und besser kann es nicht sein.

Seit eurer letzten EP ist Ira Atari ein Duo, privat seid ihr ein Paar. Ihr seid also permanent miteinander verbunden und Inspirationen nimmt man aus dem Alltag. Sitzt ihr manchmal zusammen und sagt spontan: „Das könnte doch zu einem Song verarbeitet werden“ und seid somit ständig im Inspirations- und Arbeitsmodus? Wie kann man sich das vorstellen?

B: Wenn man selbstständig ist, dann ist man ja schon immer am arbeiten. Ich sehe es aber nicht so, weil es kein „klassischer“ Job ist, sondern eine Leidenschaft. Normalerweise ist es ja schwierig, wenn man etwas dann so intensiv machen will und eine Partnerschaft führt. Kommen beide aus einem ganz anderen Bereich, kann das schon kompliziert werden. Wir haben aber diesen gemeinsamen Nenner und besser kann es nicht sein.

I: Stimme ich zu! Manchmal sitzen wir zusammen und hören Musik. Dann sag ich „Hey komm, sowas in die Richtung könnten wir mal ausprobieren“ , dann gehen wir an den Computer, basteln etwas und ich schreib die Vocals und fertig, sozusagen. So in etwa war es bei der Arbeit an unserem Album.

Wenn ich aber an deine Antwort zu „Thinking of you“ denke, heißt es also, dass die Texte manchmal schon vorher fertig sind?

I: Ideen und Themen zu Texten kommen aus einem längeren Zeitraum. Man kann ja nicht alles in drei Monaten erleben. Da spielen auch Erinnerungen eine Rolle.

Habt ihr das Gefühl, dass das Paar sein im privaten und auf der Bühne jetzt öfters thematisiert wird?

B: Naja es geht. Wir gehen jetzt nicht raus und sagen: „Leute, wir sind ein Paar“, sondern man hat es mitbekommen und dann wird es mal angesprochen, aber es ist nicht im Vordergrund.

Eure letzten beiden Musikvideos habt ihr selbst produziert. Entstand das nach dem Prinzip, man selbst kann immer noch am besten das umsetzen, was man vor Augen hat?

I: Ich bastel ja sehr gerne vor mich hin und hatte sowieso vor, die Entstehungsgeschichte des Albums auf Video festzuhalten. Nachdem es wirklich viele schöne Momente gegeben hat die wir festgehalten hatten, haben wir beschlossen, dass das unser offizielles Moment Video wird. Bei „Crocodiles“ war es viel geplanter und hat 1,5 Jahre gedauert. Ich habe immer daran gearbeitet, wenn wir bei meinen Eltern waren. Da gibt es einen kleinen Turm – den Wartturm – einer meiner Lieblingsorte.

B: Du hast ja alles selbst gemacht. Selbst gefilmt, selbst geschnitten.

I: Ja, man kann sich vorstellen, dass das viel Arbeit war. Ich hatte mir aus einem Mikroständer einen Selfiestick gebaut der viel zu schwer war und habe damit immer so herumgewirbelt (siehe Video). Dann plötzlich kam der Moment, in dem ein unglaublicher Schmerz in meinen Arm fuhr und ich aufhören musste. Mein Arm hat noch vier Monate danach wehgetan.

Wie viel Material hattest du dann?

B: Eine ganze Festplatte war das doch.

I: Ich weiß es nicht mehr in Minuten, aber in Gigabyte, weil ich’s auf meine Festplatte machen musste. Ungefähr 50 GB, mindestens.

B: Witzigerweise hast du es ja mit einer kleinen Kamera gemacht, wo die Dateien nicht so riesig sind. Du hast es nicht mal in einem Stück gemacht. Immer wenn wir bei Iras Eltern waren, haben wir weitergemacht. Es ist in Etappen gefilmt.

I: Ja, man sieht das an den verschiedenen Jahreszeiten oder am Licht.

Ira: Als Mann bekommst du Respekt und Anerkennung sofort und selbstverständlich. Frauen müssen sich diese Anerkennung schwer „verdienen“ und am Ende (wo auch immer das Ende ist) sind Anerkennung und Respekt auch wieder schnell verschwunden.

Irgendwie ist es müßig, Frauen Fragen nach der Durchsetzung in einem scheinbaren Männer-Metier zu fragen. Ira, neulich hast du einen Text veröffentlicht mit Gedanken zu deinem 10-jährigen Jubliäum im Musikgeschäft mit Fragen zu Ungerechtigkeit, Doppelmoral. Negative Momente müssen immer wieder angesprochen werden, um vielleicht etwas zu verändern. Willst du aber von kraftvollen Momenten erzählen, in denen du dich durchgesetzt hast? Schließlich ist „She does want she wants“ für euch mehr als eine Floskel.

I: Also erstmal finde ich es super, dass ich noch da bin (lacht). Ich wollte schon öfter mal mit Ira Atari aufhören, aber hab mich immer wieder angetrieben weiterzumachen. Mit „SHE DOES WHAT SHE WANTS“ knüpfe ich an alte Weisheiten an (My Name Is Ira). Noch immer gibt es viel mehr Männer in dieser Branche und viele Männer sind viel erfolgreicher als die wenigen Frauen. Das alles hat etwas mit Respekt und Anerkennung zu tun und dass man Frauen überhaupt weniger zutraut, dass Frauen sich selbst weniger zutrauen. Als Mann bekommst du Respekt und Anerkennung sofort und selbstverständlich. Frauen müssen sich diese Anerkennung schwer „verdienen“ und am Ende (wo auch immer das Ende ist) sind Anerkennung und Respekt auch wieder schnell verschwunden. Wahrscheinlich aus so einfachen Gründen wie: Sie hat zugenommen und ist jetzt leider doch nicht mehr so sexy oder sie hat Falten oder graues Haar oder Ähnliches. Als ich angefangen habe mit Ira Atari, bin ich davon ausgegangen, dass mir das niemals passieren würde. Ich dachte Leute, schaut her, ich bin’s „My Name Is Ira“ und ich bin mutig und mach was ich will. Ich wirbel euren dummen Müll im Kopf mal kräftig durcheinander und zeig euch wo es langgeht. Das hat aber in Wirklichkeit niemanden interessiert. Hauptsache der Song macht Bumm-Bumm und das Girl sieht nicht ganz scheiße aus. Die Lyrics waren wurscht. Kann dir doch egal sein, könnte man jetzt denken. Das hab ich auch gedacht aber das war es nicht. Ich hab mich dann  zurückgezogen. Mal sehen was mir noch so alles begegnet. Ich denke es ist wichtig, dass Frauen miteinander solidarisch sind und sich zusammentun.

Gibt es zum Schluss noch etwas, das ihr gerne noch loswerden wollt – Tour, Album, Fans?

I: Ja, ich find es toll dass bei unserer Album Tour die Leute extra wegen uns kommen.

B: Oder auch nicht (beide lachen).

Ihr habt das Album noch nicht gehört? Na, aber hoppi!

1 Comment

  • Anne sagt:

    Super interessant 🙂
    Ich habe Ira Atari auch zum ersten Mal auf dem Campusfest gesehen und wir waren alle sehr positiv überrascht 🙂

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